Greifswalder Erklärung der Europäischen Dombaumeistervereinigung
Europäische Vereinigung der Dombaumeister, Münsterbaumeister und Hüttenmeister Dombaumeister e.V.
In Greifswald und Stralsund fand vom 20. bis 24.09.2022 die diesjährige Tagung der Vereinigung der europäischen Dombaumeister, Münsterbaumeister und Hüttenmeister e.V. auf Einladung des Landeskirchenamtes der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland statt, die unter dem Schwerpunktthema „Große Dome – kleine Gemeinden“ stand. Thematisiert wurden u.a. die Herausforderungen der Restaurierung der großen Kirchen der Backsteingotik in Greifswald und Stralsund unter den veränderten Rahmenbedingungen kleiner werdender Kirchengemeinden, um ihr großartiges bauliches Erbe in die nächsten Generationen zu tragen.
Die rund 150 Mitglieder der Vereinigung sind ArchitektInnen, BaumeisterInnen, RestauratorInnen und Bauschaffende aus siebzehn europäischen Ländern, die sich im Rahmen der üblicherweise jährlich stattfindenden Dombaumeistertagung zum Erfahrungsaustausch trafen. Aufgabe der Vereinigung ist der Erhalt und die Pflege der großen Kirchen und Kathedralen – zusammen mit der Bewahrung und Fortführung des immateriellen kulturellen Erbes, der Traditionen sowie der historischen und aktuellen handwerklichen Techniken, ohne die die große Aufgabe kaum zu bewältigen wäre. Aufgabe der Vereinigung ist es aber auch, in der Öffentlichkeit und bei politischen Entscheidungsträgern um Verständnis für das gemeinsame kulturelle Erbe Europas zu werben, um es dauerhaft zu schützen, zu pflegen und für die nächsten Generationen zu bewahren. Die Vereinigung unterhält auch Kontakte zu den Zusammenschlüssen von Architekten und Baumeistern in Frankreich, Großbritannien und Italien.
Bei den turnusgemäß alle drei Jahre stattfindenden Wahlen zum neuen Vorstand wurde Architektin Annette Loeffel, Bern (Münsterbaumeisterin des Berner Münsters / Schweiz) zur neuen Vorsitzenden des Vereins gewählt. Zum stellvertretenden Vorsitzenden wurde Gerd Meyerhoff, Greifswald (Baureferent bei der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Norddeutschland) gewählt.
Ein Mitglied der Vereinigung von der Sophienkathedrale in Kyiv / Ukraine berichtete während der Tagung eindrücklich über die schrecklichen Zerstörungen, die der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine in vielen Städten und Gemeinden verursacht und dabei auch unzählige Kulturdenkmäler unwiederbringlich vernichtet oder schwer beschädigt hat.
Kriege verursachen nicht nur schreckliches Leid in der Bevölkerung, sondern zerstören auch kulturelles Erbe von Generationen,das für die gesamte Menschheit von großer Bedeutung ist. Die Dombaumeistervereinigung hat daher bei der diesjährigen Tagung Finanzmittel zur digitalen Vermessung der Sophienkathedrale zur Verfügung gestellt und mit der Greifswalder Erklärung vom 23.09.2022 einen Appell verfasst, der sich an Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen in aller Welt richtet:
Greifswalder Erklärung / 23. September 2022
Die europäische Vereinigung der Dombaumeister, Münsterbaumeister und Hüttenmeister e.V. engagiert sich für den Erhalt des Europäischen Kulturerbes und für die Verständigung und den Austausch von Kulturschaffenden über alle Ländergrenzen hinweg.
Die schrecklichen und zerstörerischen Ereignisse von Kriegen wirken über Generationen nach. Auch über 75 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges wird in zahlreichen Städten Europas immer noch an der Beseitigung von Schäden gearbeibeitet. Dies führt uns die nachhaltige zerstörerische Kraft von Kriegen vor Augen, der wir mit Wiederaufbau und Völkerverständigung begegnen wollen.
Wir verurteilen diesen brutalen, völkerrechtswidrigen und durch nichts zu rechtfertigenden Angriffskrieg Russlands. Dieser Krieg richtet sich gegen die Menschen in der Ukraine und die kulturellen Zeugnisse von Generationen. Er verursacht nicht nur großes Leid in der ukrainischen Bevölkerung, sondern bringt auch das kulturelle Erbe der Menschheit, seien es Kirchen, Kultur- und Kultstätten, Museen, Archive, Bibliotheken, Denkmäler und Kunstwerke in Gefahr, die prägend für die ukrainische Kultur sind und große Bedeutung für Menschen aller Nationen haben. Hunderte von Gebäuden und Kultureinrichtungen wurden durch den Krieg bereits zerstört oder schwer beschädigt.
Wir erklären unsere Solidarität mit allen Menschen in der Ukraine, die unter dem Krieg leiden, um ihr Leben fürchten müssen und mit allen, die sich für den Schutz der Kulturgüter in der Ukraine zum Teil unter Lebensgefahr einsetzen.
Wir fordern Russland auf, die kriegerischen und zerstörerischen Handlungen zu beenden und zu einem friedlichen Zusammenleben der Völker zurückzukehren. Ebenso fordern wir alle Parteien auf, die Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten vom 14. März 1954 sowie deren Protokolle zu respektieren und einzuhalte.
Gemäß der Haager Konvention (Schweiz: Haager Abkommen), Artikel 4, haben sich alle Vertragsparteien veechtlicher Inbesitznahme von Kulturgut sowie jede sinnlose Zerstörung solchen Gutes zu verbieten, zu verhindern und nötigenfalls zu unterbinden.“
Wir fordern die zuständigen Regierungs- und Nicht-Regierungsorganisationen, die Vereinten Nationen, UNESCO, ICOMOS (International Council of Monuments and Sites) und ICOM (International Council of Museums) auf, ihren jeweiligen Einfluss geltend zu machen, um der Ermordung tausender unschuldiger Menschen und der Zerstörung der Kulturgüter Einhalt zu gebieten.
Alle Mitglieder des Vereins stehen an der Seite der Menschen in der Ukraine. Darüber hinaus ermutigen wir die Menschen in allen Ländern Europas und der ganzen Welt, sich aktiv für das friedliche Zusammenleben der Völker einzusetzen.
Aufgestellt durch den Vorstand der Vereinigung
Rückfragen:
DI Wolfgang Schaffer, Dombaumeister Mariendom Linz, Tel. 0664/4513063